Richard Oliver Schulz steht am Geländer

Das Gute ist nicht langweilig und das Böse kein fehlendes Gutes

Der größte Fehlschluss des Kirchenlehrers Thomas von Aquin bestand darin, das Böse als fehlendes Gutes zu definieren.

Das Böse ist kein bloßes fehlendes Gutes, sondern in seiner Intention gegen das Gute selbst gerichtet. Es gibt somit kein mehr oder minder Gutes. Es gibt aber sehr wohl eine Rangordnung des Bösen. Das Böse ist eine eigene Kategorie mit eigener Rangordnung. Das Gute kennt dagegen keine Rangordnung seinem Wesen nach, denn es ist individuell. Es gibt im Guten allenfalls eine „Rangordnung“ entwickelter Bewegungsfreiheit.
Es gibt somit keine Stufenleiter zwischen Gut und Böse und darum auch keine moralische Rangordnung, kein kontinuierlicher Übergang zwischen beiden, wie sich dies einige Leute, selbst Philosophen, vorstellen, die glauben, dass die individuellen Unterschiede zwischen den Menschen in Rängen bestünden. Es sind „Rangphilosophen“, die den Zeitgeist anhimmeln, oft wider Willen einen Wahrheitsrelativismus predigen und hinsichtlich des menschlichen Wesens völlig in die Irre gehen. Menschen dieses Schlages glauben auch, dass das Gute ohne das Böse langweilig sei. In den dramatischen Werken der Dichter sehen sie einen Beweis, dass ohne das Böse die Vielfalt unserer Welt nicht möglich sei. Mit dem Philosophen Leibniz denken sie, dass das Böse sein müsse, um einige Dissonanzen in die vollendete Symphonie der „besten aller Welten“ zu bringen, die dadurch erst so recht vollendet würde. Leibniz war ein scharfsinniger Philosoph, aber in diesem Punkt irrte er. Eine wirklich schöne Symphonie hat wohl Kontraste und Schattierungen, Höhen und Tiefen, aber keine Dissonanzen. Dissonanzen bringen immer ein störendes Ungleichgewicht in der Seele des Hörers hervor. So ist es auch in der Dramatik. Ein dramatisches Werk kann sich sehr wohl mit dem Problem des Bösen auseinandersetzen, aber doch nicht um es zu befördern, sondern um es, im ungünstigsten Fall aufzuzeigen und kenntlich zu machen, und es im besten Fall aufzulösen. Die Kraft der Überwindung aber kommt nur aus dem Guten und seiner eigenen inneren Vielfalt. So ist auch Gottes Handeln immer ein Trotzdem zum Bösen, es geht keine Kompromisse mit dem Bösen ein. Gott in falscher Frömmigkeit auch für ein wirklich Böses zu danken ist pervers, denn Gott hat es nicht gewollt. Schlimme Schicksalsschläge haben immer etwas mit böse gewordenen Wesen zu tun, aber Gottes Zulassungen kennt Wege der Überwindung und Läuterung, die uns noch unbekannt sind. Einmal, in ferner Zukunft, wird das Böse auch für dieses Universum völlig überwunden sein, es wird dann aufgehört haben zu existieren – kraft des Guten.