Im Hades, 1982, Ölpastell
Im Hades, 1982, Ölpastell

Zum Suizid

Die bewusste Entscheidung zum Suizid steht in engem Zusammenhang mit der Überzeugung, das gegenwärtige Leben habe sich als sinnlos erwiesen, und der unbewiesenen Annahme, mit dem physischen Tod könne die angestrebte geistige Ruhe gefunden werden.

Der typische moderne Mensch hat den Glauben an höhere Ebenen des Seins, die kreative Freiheit, individuelle Bedeutsamkeit, Glück und Befriedigung mit sich bringen, verloren.

Der typische moderne Mensch hat den Glauben an höhere Ebenen des Seins, die kreative Freiheit, individuelle Bedeutsamkeit, Glück und Befriedigung mit sich bringen, verloren. Es wird ihm suggeriert, dass der einzige Zweck einer geistigen Tätigkeit darin bestünde, das bloße Überleben auf eine möglichst raffinierte Weise zu sichern. Somit wird dieses als das höchste Gut bezeichnet. Nimmt man das Überleben aber als den höchsten Sinn des Lebens an, statt diesen in einem höheren Gut als nur im irdischen Leben selbst zu suchen, so wird auch dieser letzte angenommene Sinn vernichtet und aufgehoben, da alles zeitlich-irdische Dasein einmal endet und mit dem Ende somit auch sein letzter Sinn, als den man das Überleben betrachtet, aufgehoben sein würde. Diese moderne Ideologie verurteilt zur Qual der Sinnlosigkeit. Vor eine solche generelle Sinnlosigkeit sieht sich der potentielle Selbstmörder gestellt, wenn das Leben für ihn jeden Anreiz eines höheren Wertes verloren hat. Indem er aktiv seinem Leben ein Ende setzt, besiegelt er zugleich die Konsequenz der Ideologie eines absoluten Endes, der er leider aufgesessen ist. Schon der Kirchenvater Augustinus hat in seiner Schrift „Über die freie Wahl des Willens“ die falschen Gesichtspunkte, nach denen ein vorsätzlicher Suizid begangen wird, als solche deutlich herausgestellt: Zum einen erhofft sich der Suizidant von seinem vermeintlichen „Freitod“ Frieden und Ruhe von seiner Drangsal. Dieser angestrebte Frieden kann aber nur in einem positiv empfundenen Zustand gesucht werden, der zugleich aber durch eine vorausgesetzte vollständige Vernichtung der Person logisch aufgehoben werden würde. Vergeblich wird also in der vermeintlichen Vernichtung ein positiver Zustand für die Person gesucht, indem der Seelenfrieden in der Vorstellung mit einer toten Ruhe gleichgesetzt wird. Solch eine tote Ruhe ist aber gar nicht der Zustand, den der in Selbstmord flüchtende Mensch in Wahrheit sucht. Die zweite falsche Voraussetzung besteht darin, überhaupt die Möglichkeit einer absoluten Selbstvernichtung anzunehmen. Wenn diese Voraussetzung nicht stimmte, könnte ja unweigerlich das genaue Gegenteil des angestrebten Zustandes eintreten.
Nun gibt es aber auch Menschen, die an ein Leben nach dem physischen Tod glauben, sich aber dennoch durch ihren Suizid eine Linderung ihres sie quälenden Zustandes erhoffen, insbesondere dann, wenn sie von schönen Sterbeerlebnissen gehört oder sie selbst bei einem vorausgegangen Suizidversuch erlebt hatten. Ich kannte solch eine, der Esoterik zugetane Patientin, die unter einer Gesichtsdysmorphophobie mit psychosomatischen Schmerzen litt. Ihr erster Suizidversuch mit einer Zyankali-Kapsel misslang und sie verätzte sich ihre Zunge, aber ein Panorama-Erlebnis mit begleitenden musikalischen Klängen war so überwältigend für sie, dass sie danach nach theologischen Argumenten suchte, um einen Suizid zu rechtfertigen. Der zweite Suizidversuch war so raffiniert geplant und in die Tat umgesetzt, dass er gelang. Freilich sind Menschen, die unter solchen Voraussetzungen Suizid begehen, in der Minderheit. Aber auch solche Menschen befinden sich in einem Irrtum, wenn dieser auch krankheitsbedingt ist. Wer sich selbst das Leben nimmt, tut dies nie zu seinem Glück, da er nicht der alleinige Herr seines Leibes ist. Durch seinen Leib ist er als ein Glied in einen umfassenden Lebenszusammenhang hineingestellt, auch wenn er das nicht erkennt. Diesem Lebenszusammenhang kann er sich nicht entziehen, so sehr er es sich auch in seiner gegenwärtigen Lebenssituation subjektiv wünschen würde. Das Leben im irdischen Leib dient der Ausbildung eines höheren Lebens und eines höheren Leibes, und seine selbstvollzogene, mutwillige Beendigung behindert diese Ausbildung zumindest auf längere Zeit und kann daher in keinem Fall vorteilhaft sein.