Buddhas am Strand, 1997, Ölpastell
Buddhas am Strand, 1997, Ölpastell

Zur Reinkarnation

Mangelndes Gottvertrauen, Macht-, Ruhm- und Genussstreben, das Verlangen nach Perfektion und zugleich die Bindung an alte Gewohnheiten machen die Reinkarnationslehre für Menschen des westlichen Kulturkreises attraktiv.

Genuss- und Ruhmsucht unter dem Vorwand, dass man sich in unermüdlicher Anstrengung selbst erlösen könnte, bilden die uneingestandene Motivation, die Reinkarnationslehre attraktiv zu finden.

Nach einer anregenden Diskussion mit einer charakterlich äußerst integren Anhängerin der Reinkarnationslehre hatte ich folgenden Traum: Während meiner Berufstätigkeit hatte ich begleitend sämtliche Gymnasialklassen noch einmal besucht, um meinen Wissensstand nicht nur zu erhalten, sondern nach Möglichkeit zu verbessern und mir selbst zu beweisen, dass ich im Abitur einen noch besseren Notendurchschnitt hätte zustande bringen können. Stattdessen war ich diesmal zu meiner Schande in der elften Klasse sitzengeblieben und musste diese nun wiederholen. Dergleichen war mir noch nie zuvor passiert.
Eine Referendarin, der mein Alter auffiel, fragte mich nach meinem Namen. Ich nannte ihn, indem ich hinzufügte, dass ich bereits ein Doktor sei, und sie schrieb den Namen ohne Doktortitel auf die Tafel. Dann löschte sie ihn aus und ersetzte ihn durch ein „E“, wahrscheinlich für „Eliminierung“. Ich ließ mich etwa in der Mitte der Bankreihen nieder und sann darüber nach, welchen Zeitraum ich jetzt noch zu meinem zweiten Abitur zu durchleben hatte. Sollte ich das alte überhaupt ersetzen? Lohnte es sich? Sollte ich nicht besser abbrechen und in Ruhe meiner Berufstätigkeit nachgehen? Aber ich hatte mich schon zu weit vorgewagt. All die Jahre wollte ich nicht ungenutzt verstrichen wissen. Es sollte nicht alles umsonst gewesen sein. Außerdem trieb mich der Ehrgeiz. Ich wollte die Schande nicht auf mir sitzen lassen. Also musste ich weiter machen. Ich musste mich an die neue Klasse gewöhnen, mir neue Freunde machen. Eines der Mädchen gefiel mir, ein dunkelhaariges in einer der vorderen Reihen, obwohl Dunkelhaarige normalerweise gar nicht mein Typ waren. Aber da fiel mir ein, dass ich um Jahrzehnte älter war als sie …
Was besagt dieser Traum? Wir sind eine Individualität, die mit der Kontinuität der Existenz untrennbar verbunden ist. Wir nehmen in unserem irdischen Leben eine Entwicklung, die nicht umgeschrieben werden kann, indem wir einen diskontinuierlichen Neuanfang starten. Eine Wiederholung des Weges zu bereits erlangten Reifegraden schadet diesen Reifegraden nur, und eine irdische Reinkarnation würde eine Wiederholung sämtlicher schon durchlaufener Reifegrade bedeuten. Schlussendlich ist es nicht der Erwerb eines Wustes an Wissen und Kenntnissen, worauf es in diesem Leben ankommt, sondern die Erkenntnis Gottes in seinem Willen, unsere feste Entscheidung für ihn und unsere Liebe und Treue. Dann wird uns alles andere hinzugegeben. Mit dem Wissenserwerb aber kämen wir hier nie zu einem Ende. Wer aber glaubt, deshalb reinkarnieren zu müssen, weil er ja noch so viel Unvollkommenes in sich habe und er sich nicht zutraut, all dies in diesem irdischen Leben hinter sich zu lassen, verkennt, dass dies durch bemühte Selbsterlösung gar nicht möglich ist und künftige Erdenleben unter ähnlichen Umständen und ohne Rückerinnerung solche beklagten Gewohnheiten ins Endlose reproduzieren würden.