Schnitterin (2), 1982, Ölpastell
Schnitterin (2), 1982, Ölpastell

Zum Problem der Willensfreiheit im Hinblick auf die Vorhersehung Gottes

Eine göttliche Vorherbestimmung aller Dinge im Detail schließt die Liebe und Fürsorge Gottes aus.

Ein Vorherwissen künftiger Entscheidungen und Schicksalswege ohne Einflussnahme ist theoretisch möglich, enthebt aber nicht den Wissenden der Verantwortlichkeit, insbesondere dann, wenn es sich bei diesem Wissenden um Gott handelt.

Von einem lebendigen, der Fürsorge fähigen Gott erwartet man nämlich, dass er das drohende äußerste Böse nicht nur passiv hinnimmt, sondern nach Möglichkeit zu verhindern trachtet. Wenn er nun aber alles zuvor vorausgesehen hat, samt seinen eigenen Möglichkeiten und tatsächlichen Handlungen, in das Geschehen einzugreifen, könnte es da nicht sein, dass er, besonders dann, wenn er um die Vergeblichkeit all seiner Eingriffe bei besonders hartnäckigen Menschen weiß, seiner eigenen vorhergesehenen Handlungsweisen und Eingriffe überdrüssig wird und diese ändert, zumal die Möglichkeit, selbst die Initiative zu ergreifen, in seiner eigenen Macht steht? Das Dilemma liegt also darin, dass es für einen Menschen theoretisch sehr wohl möglich ist, als ein Unbeteiligter die Zukunft vorauszusehen, ohne in den freien Willen des beobachteten Handelnden einzugreifen. Dasselbe gilt aber nicht für Gott, in dessen Macht es steht, bei jeder Gelegenheit auf seine Weise Einfluss zu nehmen und das Schicksal zu lenken, sofern er dabei nicht in den freien Willen der handelnden Personen eingreift. Die These, dass Gott in der Lage sei, alle Zukunft bis in die „Unendlichkeit“, und zwar ins kleinste Detail vorherzusehen, birgt die Gefahr in sich, ihm zugleich eine gewollte und souveräne Vorherbestimmung zu unterstellen, da er selbst als Handelnder nie ausgeschlossen werden kann. Als Erster hat der Kirchenvater Augustinus diesen gefährlichen Weg einer aus menschlicher Sicht folgerichtigen Logik beschritten, indem er behauptete, Gott habe in seiner souveränen Voraussicht auch das Unheil und Verderben eines gewissen, ja sogar des größten Teils der Menschheit vorherbestimmt. Ein unmenschliches, ja teuflisches Gottesbild war die Folge. Augustinus ist erst nach einer längeren Entwicklungsperiode zu diesem Gedanken gekommen. Ursprünglich vertrat er die Ansichten seiner christlichen Vorgänger, dass Vorhersehung und Vorherbestimmung auch bei Gott prinzipiell zweierlei seien, bis ihm später offenbar das scheinbare Missverhältnis beider Begriffe, bezogen auf Gott, ins Auge fiel und er daran ging, beide Begriffe auf Kosten von Liebe und Gerechtigkeit Gottes zu vereinheitlichen.