Scheinheilige, 1982, Aquarell
Scheinheilige, 1982, Aquarell

Zum Problem eines metaphysischen Determinismus

Ein metaphysischer Determinismus, wonach Gott seine Vorherbestimmung aller Dinge auf seiner Vorhersehung aller Dinge gründe, führt in unauflösbare innere Widersprüche und zu blasphemischen Annahmen im Hinblick auf Gott.

Der von Augustinus beeinflusste deutsch-ungarische Philosoph Bela von Brandenstein sah in einer Synthese von Vorhersehung und Vorherbestimmung kein Problem für die Willensfreiheit:

Er ging von einem Gott aus, der als ein echter Vertreter antiautoritärer Erziehung alles am Schnürchen laufen lässt, indem er einerseits eine formlose Urmaterie, „Masse“ genannt, andererseits Engelwesen, sprich Naturgeistkräfte, erschaffen habe, welche letzteren wiederum die physikalische Eigenschaften in die Masse hineinerschaffen und Pflanzen und Tiere als gleichsam Marionetten ihrer Gedanken hervorbringen. Dabei lässt Brandenstein seinen Gott die sogenannten Naturgeistkräfte ohne Anleitung nach eigenem Ermessen und Gutdünken miteinander und auch gegeneinander gewähren und erklärt auf diese Weise den Kampf und das Leiden in der Natur. Auf diese Weise entwickeln und erproben sich nach Brandenstein die Naturgeistkräfte und kommunizieren untereinander. Nur den Menschen hat dann letztlich wieder Gott erschaffen, indem gewisse Naturgeistkräfte da wohl zu tief in die Materie eingegriffen haben und sich in ihren menschenförmigen Marionetten aus Übermut wohl selbst inkarnierten, was nicht unbedingt von Gott gewollt, aber eben zugelassen war, so dass er hernach gezwungen war, aus ihnen weitere Menschenseelen hervorgehen zu lassen. So verdanken wir Nachgeborenen also dem Sündenfall gewisser persönlicher Naturgeistkräfte unsere Existenz. Aber auch den Menschen lässt der Gott des Brandenstein am Schnürchen laufen, beeinflusst ihn allenfalls sachte mit zarter Empfindung in seinem Gewissen und lässt ihn ansonsten aus freiem Willen, was aber bei Brandenstein heißt, aus eigenem Gutdünken, handeln. Nun aber kommt der beruhigende Ausblick: Gott hat schon alles im Voraus berechnet und hat aus einer unendlichen Zahl von Möglichkeiten gerade diejenige begrenzte Anzahl an Geschöpfen im Voraus ausgewählt, von der er wusste, dass sie in ihren Interaktionen aus freiem Willen gerade jene Entscheidungen treffen, die dann letzten Endes nur die Beste aller möglichen Welten (oder Universen) ergibt. Mit anderen Worten: Es läuft alles wie am Schnürchen! Die wenigen Bösen, die am Ende unerlöst bleiben und deren zunehmendes Verderben sich asymptotisch dem Nichts annähert, bilden dabei nur die Dissonanz, die nach Leibniz zu einer vollendeten Symphonie dazugehört. Diese Philosophie ist metaphysischer Determinismus. In ihr wird vergessen, dass ein Gott, der nicht nur alles vorherweiß, sondern auch den ganzen Lauf der Welt auf dieses Vorherwissen abgestimmt hat, kein Interesse daran haben kann, an diesem vorherberechneten Lauf nur irgendetwas zu ändern und etwaigen Anteil an seinen menschlichen Geschöpfen in Form von Leiden oder Betroffenheit zu nehmen. Der Gott Brandensteins gleicht einem Uhrmacher, der mit dem Aufziehen seiner kunstvoll erdachten Uhr schon alles getan hat. Sein Gott ist kein Gott der Liebe, sondern ein sich in seiner Schöpfung selbst bespiegelnder Narzisst. Es ist ihm gleichgültig, wer in dieser Schöpfung am Ende zu den Verdammten zählt, Hauptsache nur, nicht gar zu viele, denn das könnte die Schönheit des Gesamtbildes stören. Freilich hat dieser Gott auch seinen Sohn formal in diese Welt zu ihrer Erlösung kommen lassen. Aber eigentlich gelitten hat dieser Gottessohn als „Teil der Trinität“ in dem Geschöpf Jesus nicht. Er hat dieses Geschöpf Jesus nur immer mitfühlend begleitet und sich eigentlich erst kurz vor seinem Kreuzestod in Form einer Ichverschmelzung vollständig mit ihm vereint. Nebenbei bemerkt: Eine solche christologische Lehre nennt man Nestorianismus. Nach katholischer Doktrin gibt es keine Verschmelzung zweier Iche, auch naturwissenschaftlich und philosophisch ist diese völlig unmöglich und ein esoterisches Hirngespinst. Eine Lehre wie diese in all ihren Variationen wurde im Jahre 451 auf dem Konzil zu Chalcedon verworfen, und da könnte sich Brandenstein, der sich selbst Katholik nannte, noch so sehr winden, aus katholischer Sicht war er ein Ketzer.
Ein ganz zentrales Problem in der Philosophie des Bela von Brandenstein ist die Tatsache, dass ein absolutes Vorherwissen des Weltzeitenlaufes im Bewusstsein Gottes zugleich die Zeit aufheben würde, die gebraucht würde, um eben diesen Weltenlauf in Gang zu setzen. Nichts könnte einen solchen Gott daran hindern, alle Menschen aufgrund ihrer vorausgeschauten Entscheidung jetzt schon in den geistigen Stand zu versetzen, den sie nach zeitlichem Ablauf erst am Ende verdienen. Damit würde er seinen Geschöpfen viel Leid ersparen.