Zerfallene Stadt, 1997, Ölpastell
Zerfallene Stadt, 1997, Ölpastell

Über Schlaf und Träume

Der Träumende ist ein Getriebener und haltlos Ringender, er ist nicht der Regisseur seines Traumes.

Jammervoll ist der Zustand eines Träumenden. Kein höheres Selbst prägt seine Wege. Er ist weder der bewusste Schauspieler noch Regisseur seines Traumes.

Alles Träumen ist ein Ringen um Bewusstheit. Bildhafte Träume sind Kristallisationspunkte aus diesem Ringen und gehen aus einem gewaltigen Kampf hervor. Wenn der Mensch einschläft, sinkt er zunächst in das wohlige Dunkel seines Leibes hinab und befindet sich dann in einem wohltuenden Schwebezustand. Hier ist der Geist des Schlafenden in seinen eigenen Leib versenkt und schwebt ruhend über der Oberfläche der im Leib imprägnierten Erinnerungen, bevor er ganz in sie eintaucht. Bevor er in sie hineingleitet, verbindet er sich oft mit der Atmosphäre der Empfindungen, die ihm aus dem Traumzusammenhang der vergangenen Nächte entgegenkommen. Wenn bildhafte Träume daraus entspringen, so ist das sein Glück, aber nicht immer gelangt sein inneres Ringen zu solcher Klarheit. Aber auch dann ist er mehr ein Getriebener als ein Handelnder. Er wird von den Strömen seines Gedachten, Erlebten und Empfundenen getragen und behauptet sich selten. Man könnte annehmen, dass er sich dabei auch in einer Art geistigen Welt bewegt, die die Bühne seines Erlebens mitgestaltet. Er mag mit wirklichen Wesen aus dieser Welt in Kontakt stehen und interagieren, Wesen, die sich hinter seinen Traumfiguren verbergen und an denen sich seine Gedanken, Empfindungen und Intentionen wie in einem Brennspiegel reflektieren. Solche Geister können sich, oft unerkannt, verborgen hinter Wünschen und Erinnerungen, in das Traumgeschehen einblenden. Man kann zwischen Träumen aus der persönlichen Sphäre, die manchmal auch präkognitiv sein können, und prophetischen Träumen unterschieden. Prophetische Träume sind in der Regel erst dann möglich, wenn die Sphäre der persönlichen Erinnerungen verlassen wird. Da wir für gewöhnlich jede Nacht in dieselbe oder eine ähnliche Empfindungssphäre wieder eintauchen, die wir am Morgen verlassen haben, kann man von periodischen Traumfolgen sprechen, die sich in endlosen Variationen wiederholen. Durch starke atmosphärische Erinnerungsfelder, die in die Tiefen der Jahre zurückreichen, erscheint die Zeit in ihrer Dauer gestreckt. Auch ein klarer Traum scheint Tage oder gar Jahre zu dauern, während er in Wahrheit kaum eine Viertelstunde bemisst. Daneben gibt es auch Träume, die nur Sekundenbruchteile benötigen. In ihnen scheint die Zeit aufs Äußerste beschleunigt abzulaufen, aber das ist ein Irrtum, der folgendermaßen zustande kommt: Es existieren in uns ausgedehnte zarte, bildsame und leicht veränderliche Empfindungsfelder, die eine zeitliche Tiefe enthalten und störungsanfällig für neue Gedanken und Assoziationen sind. In diese können neue plastische Träume gleichsam im Nachhinein eingeprägt werden. Solche panoramaartigen Empfindungsfelder gleichen einem mehrfach zart beschriebenen Blatt Papier, das die Zeit seiner Entstehung in sich gespeichert enthält, aber aufgrund seiner Fragilität bereits in Sekundenbruchteilen mit gleichsam ausgesprenkelten Gedankenklecksen neu überschrieben und verändert werden kann, wobei dann der Eindruck entsteht, als sei das neu entstandene Bild in derselben Zeit entstanden wie das zuvor angelegte. So erging es dem Schlafforscher Alfred Maury, als er von der französischen Revolution bis zu seiner Hinrichtung unter der Guillotine träumte. Ausgelöst wurde dieser Traum durch ein vom Bettgestell abgelöstes Brett, das ihm in den Nacken fiel. Wurde der Traum dadurch tatsächlich ausgelöst? Ich meine, er wurde dadurch verändert, indem das Ereignis des fallenden Brettes innerhalb von Sekundenbruchteilen in das fragile Feld projiziert wurde.