Hierarchische Formen, 1997, Buntfarbstift
Hierarchische Formen, 1997, Buntfarbstift

Sprache und Mathematik als Akte eines geistigen Ich

Der Akt des Zählens setzt ein begriffliches Denken voraus.

Die Signalsprachen der Tiere sagen nie etwas über das Wesen einer Sache aus, sie geben einen Sachverhalt im Hinblick auf den Nutzen für das leibliche Wohl wieder.

Der Sachverhalt ist allenfalls ein situativ neuer, aber keiner, der die bisherige Grundanschauung und seelische Grunddisposition des Tieres umstrukturiert. Es wird etwas gelernt, der Lernprozess ist aber situativ bedingt. Die möglichst objektive Erfassung eines An-sich der Dinge ist im Tierreich nicht gegeben. Daher ist auch ein Erkenntnisprozess als solcher in der ganzen Grundausstattung der Tiere nicht intendiert, so komplex ihre Intelligenz innerhalb des Sinnlich-Konkreten auch sein mag. Im Tierreich handelt es sich um Informationen über Sachverhalte des Lebensumfeldes und den damit verbundenen Emotionen, nicht um wirkliche Erkenntnisse. Echtes Erkennen ist nur innerhalb der Sphäre von Begriffen möglich. Echte Begriffe sind für Tiere unerreichbar, da sie sich nie über die sinnliche Sphäre ihres Lebensumfeldes erheben können. Sind Tiere einer Form des abstrakten Vorstellens fähig? Im Hinblick auf die sinnliche Sphäre kann dies bejaht werden. Tiere können wesentliche sinnliche Merkmale sowohl verallgemeinern wie auch im einzelnen Fall differenzieren. Sie können andere Tiere und Menschen als Mitglieder einer bestimmten Artengemeinschaft erkennen und hegen entsprechende Erwartungen an diese. Schimpansen und Bonobos etwa können sehr gut per Zeichensprache assoziativ ein bestimmtes Lebewesen einer Artengemeinschaft zuordnen. Tauben etwa generalisieren ähnliche Merkmale von Objekten und ordnen Bäume und Laternenpfähle derselben Objektgruppe zu.
Sämtlichen Tieren fehlt jedoch gänzlich die Einsicht in eine Metaebene der nicht sinnenspezifischen übergeordneten Zusammenhänge, die mit der Frage nach dem Woher und Warum verbunden sind. Es fehlen ihnen – in einem Wort – die eigentlichen Begriffe, die für menschliche Sprache unabdingbar sind. Begriffe abstrahieren von der sinnlichen Sphäre generell. Dies ist eine Leistung, zu der kein noch so hochentwickeltes Tier fähig ist. Dadurch wird ein Bereich erschlossen, der „unendlich“ weit über die Einsichtsmöglichkeiten und das kreative Potenzial der höchsten Tiere hinausgeht. Durch seine Sprache wird der Mensch überhaupt erst kreativ und in die Lage versetzt, bewusst und zielgerichtet zu forschen. Sehr deutlich macht sich dies in den Begriffen und Ideen der Mathematik bemerkbar.
Die grammatikalische Pluralbildung in einem Wort setzt eine Abstraktion im Hinblick auf den Begriff der Zahl voraus, die bei Tieren nicht gegeben ist, bei Schimpansen ebenso wenig wie bei Papageien.
Die Metaebene der Zahl ist überhaupt notwendig, um den Akt des Zählens zu gewährleisten und dieser ist nicht möglich, ohne über den sinnlichen Gesamtüberblick einer Merkmalsgruppe hinauszugehen. Mehr als sieben Objekte können weder von Schimpansen noch von Papageien zugleich differenziert visualisiert werden. Dazu ist der Akt des Zählens vonnöten. Tiere, selbst die höchstentwickelten, können nicht zählen. Warum? Weil das Zählen ein geistiger Akt ist, der den Begriff der Zahl voraussetzt, eine Merkmalsgruppe von sieben Objekten aber das höchste ist, was visuell überblickt und identifiziert werden kann.
Der Mitvollzug der Gedanken und Handlungen in einer Gemeinschaft unterschiedlicher Individuen mit unterschiedlichen Denkweisen, die untereinander in Dialog stehen, ist das Kennzeichnen einer menschlichen Gemeinschaft. Dem begrifflichen Denken liegt auch die Fähigkeit der aktiven Erinnerung zugrunde. Diese ist Tieren nicht möglich, da ihr Erinnerungsvermögen nicht frei verfügbar, sondern immer an konkrete sinnliche Kontexte gebunden ist.