Wald, 2008, Akryl
Wald, 2008, Akryl

Über synthetische und analytische Urteile

Synthetisches und analytische Sätze sind im menschlichen Urteilen nicht klar unterscheidbar. Das begriffliche Denken ist immer auf Entdeckungsreise.

Die Unterscheidung zwischen synthetischen und analytischen Urteilen geht auf Immanuel Kant in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ zurück.

Unter analytischen Urteilen verstand er solche, die unmittelbar aus dem Umfeld eines Begriffes gewonnen werden, Definitionen, die mehr oder weniger deutlich die Wesensmerkmale eines Begriffes herausarbeiten und daraus neue, noch unbeachtete Erkenntnisse über den Gegenstand des Begriffes gewinnen. Unter synthetischen Urteilen verstand er solche, die neue Erfahrungsaspekte zu einem bereits gebildeten Begriff hinzubringen und seine Gültigkeit dadurch erweitern.
Diese strenge Einteilung in analytische und synthetische Urteile ist, wie man heute berechtigterweise allgemein anerkennt, so nicht aufrechtzuerhalten, denn der menschliche Geist und die Formen seiner Sprache sind etwas Lebendiges, sie stehen ständig in einem Dialog, sind fortwährend in Auseinandersetzung begriffen, und die Begriffe einer Sprache stehen auch nicht so fest in sich selbst, dass man im strengen Sinne von analytischen oder synthetischen Urteilen sprechen könnte. Die menschliche Sprache ist, von ihrer ganzen Anlage her selbst auf der Suche nach der Wahrheit, darauf ausgerichtet, immer tiefer in das Wesen der Dinge einzudringen, das prinzipiell unerschöpflich ist. Sogar Zahlenbegriffe lassen sich sowohl synthetisch als auch analytisch betrachten, und es lassen sich unbegrenzt weitere Aspekte und Zusammenhänge aufweisen. So musste Kant in seiner Abgrenzung von synthetischen und analytischen Urteilen Schiffbruch erleiden. Jedes Urteil in allen menschlichen Sprachen lässt sich sowohl synthetisch als auch analytisch begründen. Denn jeder Begriff verfügt über einen Begriffskern als dessen nichtsinnliches, gleichwohl phänomenologisches „Existenzial“. Um diesen Begriffskern herum gruppieren sich nähere Eigenschaften, die entweder als unabdingbar oder als situativ bedingtes Beiwerk betrachtet werden können. Ohne dieses allen Sprachen gemeinsame Existenzial ließe sich keine Sprache in eine andere übersetzen. Gleichwohl unterliegt ein Begriff in jeder Sprache einer unterschiedlichen Konnotation mit einem Bedeutungsschwerpunkt des Ausdrucks, was aber für eine allgemeine Verständigung kaum relevant ist. Das deutsche Wort „Kopf“ oder das spanische Wort „Capize“ sind beide aus dem lateinischen „Caput“ abgeleitet, was so viel wie die „wichtigste Instanz“ bedeutet. Das französische Wort „Tête“ für Kopf kommt dagegen vom lateinischen Wort „Testis“ für den „Zeugen“ und bedeutet so viel, wie dass das Haupt Zeugnis für den ganzen Leib und die Wahrnehmungen aller fünf Sinne ablegt. Für eine allgemeine Kommunikation sind diese Bedeutungsnuancen unerheblich, aber sie können der Ausgangspunkt für ein analytisches und synthetisches Urteilen sein, das immer parallel erfolgen muss.