Unser Zeitgeist entspricht einem Fluch, der den „verlorenen Sohn“ verwirft.
Durch sein Gleichnis vom verlorenen Sohn, der nach einem langen Irrweg reuig zu seinem Vater zurückkehrt und von diesem freudig, ohne Vorbehalte aufgenommen wird, hat Jesus das Wesen Gottes als bedingungslose personifizierte Liebe wohl am treffendsten bezeichnet.
Die Gottesferne, in der sich die Menschheit unserer Erde beinahe permanent befindet, und die auch durch das staatlich etablierte Christentum kaum abgemildert, ja durch seine religiöse Überzeichnung sogar beinahe zum Äußersten gefördert wurde, drückt sich wohl nirgendwo deutlicher aus als gerade in unserer zeitgemäßen Haltung gegenüber diesem verlorenen Sohn.
Denn heute wird der verlorene Sohn, wenn er nur einen Fehler gegen die Maßregeln seines sozialen Umfeldes begangen hat oder dessen Vorstellungen nicht entspricht, weit davon entfernt, mit Liebe wiederaufgenommen zu werden, von seinen Angehörigen verflucht, wenn nicht gar sinngemäß gekreuzigt. Umso mehr geschieht dies, als in dieser schweren Zeit, die bei allem äußerem Wohlstand in den westlichen Industrienationen jede geistig-moralische Perspektive verloren hat, kaum eine Familie intakt ist, vielmehr heute mehr als jede zweite Ehe über kurz oder lang geschieden wird, folglich schon dem Kleinkind jede Geborgenheit fehlt und eine emotional und geistig verwilderte Jugend heranwächst. Muss man sich da verwundern, dass sich die Kinder gegen die Eltern erheben werden und jede natürliche Autorität verloren geht? Das Resultat spiegelt jedoch nur die Feindschaft der Eltern gegen ihre Kinder wider. Wo es keine Wahrheit gibt, an die man glauben kann, verteidigt jeder seine vermeintlich eigene Wahrheit auf Leben und Tod.
Jeder hat sich heutzutage selbst verloren und ist auf der Suche nach sich selbst. Dass man sich nicht selbst verlieren möge auf dieser Suche! Kann man eine Brille finden, wenn sie einem auf der Nase sitzt und man hindurchschaut, ohne es zu merken, und man sie woanders sucht als nur bei sich? Sollte man schreien und klagen, man sähe doch so scharf, die Brille müsse sich doch finden lassen, statt zu erkennen, dass man gerade hindurchblickt? In Wahrheit ist es nämlich gar nicht das eigene Selbst, nach dem gesucht wird, sondern die äußere Welt, vielmehr alles, was der Zeitgeist für die Welt hält. Man glaubt, sich selbst in ihr finden zu müssen, wenn man den Blick für das Wesentliche verloren hat. Diese Art von Selbstfindung ist, wenn sie vermeintlich abgeschlossen ist, erst der Anfang von einem »Lied«, das fortgesetztes Leid impliziert, der Anfang der am sozialen Mainstream orientierten Weltfindung nämlich, die in ein Labyrinth ohne Ende führt.