Diplomatie ist ein Werkzeug der Täuschung.
Der Vater einer Studienkollegin, Lehrer von Beruf, behauptete einmal, Jesus sei „ein guter Diplomat“ gewesen, als er die Pharisäer dazu aufforderte, dem Kaiser das zu geben, was „des Kaisers“ sei.
Er wollte damit sagen, dass Jesus zu Kompromissen und Zugeständnissen bereit gewesen sei und sich im Hinblick auf die weltliche Macht gut hindurchgewunden habe. Ist das wirklich so? Das genaue Gegenteil ist richtig! Jesu Äußerung beinhaltet eine klare Abgrenzung von jeglicher weltlicher Macht. Den weltlichen Mächten sind deutliche Grenzen gesetzt. Sie haben das Schwert, das heißt, sie sind dazu da, der Bosheit der Menschen Einhalt zu gebieten. In individuelle Entscheidungen, die Gewissensfreiheit, spirituelle Überzeugungen und den Privatbesitz haben sie sich nicht einzumischen. Tun sie dies, so fordern sie Gott selbst zu ihrem Gegner heraus.
An einem anderen Beispiel könnte man ebenso gut behaupten, dass Jesus nicht diplomatisch genug gewesen sei. Als er zu einer Menschenmenge sprach: „Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag.“ (Joh.6,53-6,54)“ entfernten sich die meisten von ihm, mit der Begründung, seine Lehre sei unzumutbar. Hier hätte der Lehrer wohl argumentieren müssen: „Was für ein schlechter Diplomat! Wie kann man sich auch nur so missverständlich ausdrücken! Wäre er nach diesem groben Fauxpas nur ein wenig klug gewesen, so wäre er diesen rechtschaffenen Leuten doch hinterhergelaufen und hätte gerufen: ‚Aber so bleiben Sie doch, meine Damen und Herren! So war es ja gar nicht gemeint! Ich meinte es ja nur symbolisch! Nur meinen Geist, meine wohlmeinende Gesinnung sollten Sie doch annehmen und die Dinge so sanft und wohlfeil verstehen wie ich‘! Da freilich wären dann die Leute zu ihm umgekehrt und wären seine Anhänger geworden! So muss man es machen, wenn man ein geübter Diplomat ist!“
Wir können uns nun fragen, warum Jesus hier ein so „schlechter Diplomat“ gewesen ist und sich die Anhängerschaft verscherzt hat. Der Grund ist einfach: Jesus kannte die Seele dieser Menschen. Er wusste, dass sie nur schmeichelnde und diplomatische Reden von ihm hören wollten. Er wusste, dass sie ihn böswillig missverstehen würden. Warum missverstand ihn diese Menschenmenge böswillig?
Absichtlich böswillig verstand ihn die Mensschenmenge deshalb, weil ihr gerade der geistliche Sinn seiner Rede keineswegs schmecken wollte. Und buchstäblich verstanden sie seine Rede deshalb, weil dies in ihrem Sinne eine gute Ausrede für sie war, den geistlichen Sinn nicht annehmen zu müssen. Warum war das Missverständnis der Menschen ein böswillig-absichtliches? Weil es ihnen hätte klar sein müssen, dass es sich bei dieser Rede um eine Gleichnis-Rede mit tieferem geistlichem Sinn handelte, und diese Tatsache war ihnen auch klar, weshalb sie die angeblich naheliegende buchstäbliche Auslegung als Ausrede gebrauchten. Was sie an Jesu Rede so sehr entsetzte, war nämlich nicht ihr falsches materielles Verständnis, sondern das viel schwerer wiegende geistlich-himmlische. Denn mit dem „Fleisch essen“ und „Blut trinken“ meinte er nichts Geringeres als das sich Hineinleben und das Anziehen seiner ganzen Person und Gesinnung. Das aber wollten sie nicht. Denn sie spürten sehr wohl, dass die wahre Intention der Worte Jesu hinter ihrer böswilligen grobmateriellen Auslegung noch um ein Unverhältnismäßiges krasser war als die in dieser grobmateriellen Auslegung unterstellte. Hier ging es um das Ganze: Um die Umwandlung und Läuterung der gesamten menschlichen Person in den wirkmächtigen Leib des lebendigen, wahrhaftigen, Stellung beziehenden und entschiedenen Gottes. Hier ist Entschiedenheit in ihrer ganzen Radikalität erforderlich. Wäre Jesus denen, die vor ihm flohen, hinterhergelaufen, indem er sie um eine spirituelle Auslegung seiner Worte angefleht hätte, so hätte er die Intention seiner Worte abgeschwächt, statt sie zu verdeutlichen. Er hätte den Menschen zu verstehen gegeben, dass Geist und Vergeistigung eine Sache des bloßen Intellekts seien und nicht der Kraft Gottes und der Entschiedenheit der ganzen Person. Diplomatisches Verhalten ist immer ein Taktieren mit der Finsternis. Man kann die finsteren Mächte, die entschiedene Feinde der Menschheit sind, nicht betrügen. Wer ihnen die Hand reicht, indem er glaubt, sich bei ihnen hindurchwinden zu können, ist selbst der Betrogene. Man kann aber auch Gott nicht betrügen. Wer es versucht, wird keinen Fürsprecher haben. Wer dem Teufel den kleinen Finger gibt, den zieht er an seinem Arm zu sich.