Berge im Wetterleuchten, Gouache Liquide/Tempera Paint auf Pappe, 2021
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Warum Gott einen Stein erschaffen kann, den er selbst nicht aufheben kann

Die Vorherbestimmung der Dinge durch Gott ist nicht dasselbe wie seine Allwissenheit.

Was oft besonders religiöse Menschen nicht bedenken, ist die Erkenntnis, dass Gott in jeder Hinsicht allmächtig und allwissend ist.

Er ist ewig und der Zeit nicht unterworfen, vielmehr hat er die Zeit mit der Schöpfung erschaffen, er steht über ihr, herrscht in ihr, wirkt und bewegt sich zugleich in ihr. Und er bewegt sich zeitfrei in sich selbst vor und im Anfang der Schöpfung, durch seinen lebendigen Dialog mit dem Sohn, der sein reflektiertes, sich gegenübergestelltes Selbst ist und in dem er sich nicht nur gegenüber sich selbst, sondern auch für die Schöpfung entäußern kann und in seiner Inkarnation in Jesus sich sogar in erdenmenschlich-leiblicher Hinsicht entäußert hat. Menschen, die sich mit metaphysischen Fragestellungen beschäftigen, beachten oft nicht, dass die Ewigkeit Gottes und seine ewige Sicht sein aktives Wirken in der Zeit nicht ausschließt, sondern geradezu voraussetzt. Sie sind in Begriffen des „Entweder-Oder“ befangen und kommen daher zu falschen Schlussfolgerungen, so etwa in der Meinung, dass Gott selbst in der Zeit nicht wirken könne, da er ewig sei. Danach setze er seine ewigen Beschlüsse in der Zeit bloß um, greife aber in die Zeit selbst nicht ein. Ein solcher Gott hat die „Schöpfungsuhr“ zuvor in der Ewigkeit aufgezogen und lässt sie aus seiner Sicht nur ablaufen. Und obwohl die Menschen aus ihrer Sicht frei handeln, ist doch alles bis ins Einzelne kalkuliert. Eine andere, entgegengesetzte These ist die Ansicht, dass Gott bei jeder Gelegenheit spontan in die Zeit eingreife, um alles zu bewirken, also auch böse Taten. Das würde einen Gott voraussetzen, dessen Wesen ganz in der Zeit aufgeht. Man nennt diese Auffassung „Okkasionalismus“. Beide Ansichten sind grundfalsch. Sie sind genau in demselben menschlich-allzumenschlichen Sinne konstruiert als es auch den meisten Menschen unverständlich ist, dass das „Vorauswissen“ Gottes aller zeitlichen Ereignisse völlig unabhängig ist von seinem Plan und seiner Vorherbestimmung. Die meisten Menschen können sich das eine nicht ohne das andere denken, und es liegt darin eine große Gefahr für ein wahrheitsgemäßes Weltbild. Einige Metaphysiker gehen sogar so weit, dass sie behaupten, Gott habe nach Voraussicht aller möglicher noch nicht geschaffenen vernünftigen Wesen und deren sämtlichen Willensentscheidungen gerade diejenigen Menschen und Wesen aus einer möglichen unendlichen Reihe ausgewählt und erschaffen, die im Gefüge des Ganzen den besten Effekt im Endresultat ergeben. Danach brauchte er die Uhr der Vorherbestimmung nur noch aufzuziehen. Somit wären dann die Vorherbestimmung durch Gott und sein Vorherwissen gänzlich eines. Kaum eine metaphysische Behauptung ist so grundverkehrt wie diese. Wenn wir festhalten, dass Gott allwissend und allmächtig ist, gelangen wir zu dem Schluss, dass Gott für alles einen Grundplan hat, den er auch unbedingt verwirklichen wird. Da der menschliche Wille aber frei im Sinne von eigenbestimmt ist, enthält dieser Plan in seiner Abwicklung verschiedene Untervarianten mit zwar für die künftige Ewigkeit nach Abschluss aller Äonenzyklen gleichem, aber für die ewig erscheinende Schöpfungszeit im Einzelnen unterschiedlichem Ergebnis, also einen Alternativplan B, C, D und so fort. Auch die widergöttlichen Mächte hinter den Weltereignissen haben derartige Alternativpläne; die Pläne Gottes haben jedoch ihre sichere Grenze und tragen den Sieg davon. Das Vorherwissen Gottes über den zeitlichen Ablauf der Ereignisse der Schöpfung in all ihren Einzelheiten ist aber davon völlig unabhängig. Nur unter dieser Bedingung kann die menschliche Freiheit der Willensentscheidung gewahrt bleiben. Würde Gott jede einzelne Willensentscheidung vorherwissend in einen vorgefertigten Plan integrieren, so würde diese dadurch zugleich missbraucht und als eine freie aufgehoben, mit anderen Worten: Sie würde nicht ernst genommen. So erkennen wir – in der Betrachtung der historischen Ereignisse –, dass unter Berücksichtigung der freien menschlichen Willensentscheidung in ihrer Gesamtheit bisher fast immer nur die schlechteste aller Alternativen gewählt wurde. Gott musste dann diesem Schlechtesten in einer Gratwanderung aktiv entgegensteuern.
Freilich ist das Vorherwissen Gottes aller zeitlichen Ereignisse wiederum kein zeitliches. Es ist in seiner Ewigkeit begründet. Nur zu besonderen Anlässen wird dieses Vorherwissen daher innerhalb der Zeit aktiviert. So erklärt es sich, dass der Sohn Gottes, als er als der Mensch Jesus auf Erden weilte, nicht den genauen Ablauf aller künftigen Ereignisse samt ihrer Datierung wissen konnte.
Die Allmacht Gottes dagegen geht unter Wahrung des freien Willens seiner menschlichen Geschöpfe so weit, dass sie tatsächlich imstande ist, „einen Stein zu schaffen, den Gott selbst nicht heben kann“, denn was für den Menschen ein Paradox ist, muss es für Gott nicht sein. Er hat diesen „Stein, den er selbst nicht heben kann“, in der Menschwerdung Jesu Christi, in der erdenmenschlichen Begrenzung seines Sohnes, erschaffen, nämlich für einen begrenzten Zeitraum, um dann dieses selbsterwirkte Unvermögen wieder aufzuheben in seine Herrlichkeit.