Seeungeheuer, 1997, Buntfarbstiftzeichnung auf Zeichenpappe
Seeungeheuer, 1997, Buntfarbstiftzeichnung auf Zeichenpappe

Vom Wesen der Ironie

Ironie verweist auf ungelöste Daseinsrätsel.

Die vollkommene Ironie ist eine dynamische oder doppelte, diejenige Form der Ironie also, die bejaht und verneint zugleich.

Um ein Beispiel zu geben, das am besten diese Ironie zum Ausdruck bringt, seien hier folgende Verse des Dichters und Zeichners Wilhelm Busch angeführt:

Die Lehre von der Wiederkehrt
Ist zweifelhaften Sinns´.
Es fragt sich sehr,
Ob man nachher
Noch sagen kann: Ich bin’s!

Der oberflächliche Leser könnte hier glauben, Busch wolle mit diesen Versen die Lehre von der Wiederkehr in Zweifel ziehen, wenn nicht gar unmittelbar widerlegen. Aber: Nein! Es wird ja schon in der ersten Zeile betont, dass der Gedanke von der Wiederkehr einen zweifelhaften, zwiespältigen Sinn habe, dass ihm also zwei verschiedene, einander entgegengesetzte Sinngegebenheiten zugrunde liegen. Das wird damit begründet, dass man hinterher nicht sagen könne: Ich bin es noch – für den oberflächlichen Lesereine Begründung der Ungültigkeit der Lehre von der Wiederkehr. Dass man hinterher nicht sagen könne: Ich bin es noch. Was ist eigentlich das witzig-widersprüchliche an dem Ausspruch, dass der Mensch nicht mehr sagen könne, er sei es selbst. Der Witz dabei ist doch, dass die unmittelbare Voraussetzung zu solch einer Aussage, der Mensch selbst, sein Ich ist. Die Tatsache des „Ich-Bin“ kann dem Menschen nicht verloren gehen. Was ihm aber verlorengehen kann, ist, dass das „Ich-Bin“ sich auf einen ganz bestimmten Menschen bezieht, nämlich auf den, den man meint, wenn man von sich selbst spricht. Damit weist Busch auf das Rätsel, das das Wesen des Menschen dem gewöhnlichen Verstand aufgibt. Und indem er ein Geheimnis anerkennt, das im gewöhnlichen Bewusstsein nicht durchdrungen werden kann und, wenn man es im gewöhnlichen Bewusstsein behandelt, zweifelhaft erscheint und daher überhaupt in Frage gestellt wird, bejaht er es gerade, obwohl er es äußerlich in Zweifel setzt, bejaht es in einem höheren Sinne. Durch die Verse klingt eine stille Resignation vor den tieferen Geheimnissen des Lebens. Es ist die Resignation, in die der Verstand gerät, wenn er versucht, an den letzten Geheimnissen des Daseins zu rühren. Dass diese Geheimnisse aber wirklich existieren, zeigt die Tatsache, dass der gewöhnliche Verstand über sie in Verwirrung gerät und in sich selbst widersprüchlich wird. Er entdeckt in sich selbst einen Widerspruch, den er nur lösen kann, wenn er in der Lage ist, sich auf eine höhere Ebene zu begeben, von wo aus er den scheinbaren Widerspruch ausgleichen kann. Diese höhere Ebene wäre in diesem Falle die Idee der Reinkarnation. Dass sie als tieferes Geheimnis des Daseins berechtigt ist, dass aber gleichzeitig nicht an sie heranzukommen ist, wenn die gewöhnliche Anschauung, die man vom Wesen des Menschen hat, nicht von Grund auf geändert wird, das besagen diese ironischen Verse von Wilhelm Busch. Es klingt durch sie neben der Resignation eine positive, bejahende Ironie, der man auch die Freude anmerkt, die sie an ihrem Gegenstand hat. Jede Ironie, – und verneint sie im Grunde noch so sehr, was sie äußerlich vorgibt und ist der innere und äußere Gegensatz auch noch so stark – jede Ironie muss in irgendeiner Form solch eine tiefere Bejahung ihres Gegenstandes zum Ausdruck bringen, die jede endgültige Verneinung in Zweifel setzt, so dass man sogar sagen kann, eine Ironie sei umso plumper und dümmer, je radikaler sie ihren Gegenstand negiert.