Jungfrauen im Abendschein, 1983, Ölpastell auf Ölpastellpapier 
Jungfrauen im Abendschein, 1983, Ölpastell auf Ölpastellpapier 

Über die menschliche Scheinlösung, die Zeit zu beherrschen

Ruhelose Aktivität vermittelt das trügerische Gefühl der Herrschaft über die Zeit.

Weiß der Mensch von seiner Unsterblichkeit?

Der Mensch hat ein Bewusstsein davon, dass er die Zeit in Anspruch nehmen kann, dass er zum unbestrittenen Herrscher über sie werden kann, wenigstens während der kurzen Dauer seines irdischen Lebens, wenn er in seiner Seele die Kraft findet, sich eine Tätigkeit zu wählen, die er dem Strom der Zeit entgegensetzen kann. In dieser Tätigkeit verfügt er frei über die Zeit. Die Zeit ist ihm in dieser Tätigkeit in jedem Augenblick gewiss und erschließt sich ihm als ein Raum, in dem er atmen und leben kann. Der Mensch ist allein in dieser seiner Tätigkeit da. Aber in diesem Da-Sein nimmt er schon Zeit in Anspruch. Dieses Dasein hat seine Richtung, und wenn der Mensch einen Satz zu sprechen begonnen hat, weiß er von dem Ende dieses Satzes, aber die Ausformulierung des Gedankens vollzieht sich während des Sprechens. So hält der Mensch, der durch seine Tätigkeit auf die Zeit gerichtet ist, sich in ihr wie in einem Raume auf. Er kennt Anfang und Ende des Raumes. Doch sein Dasein hat seine sichere Mitte im Inneren dieses Raumes, in dem er sich in völliger Freiheit bewegen kann und den er mit seinem Eigenleben erfüllt. Was wäre ein Bewusstsein, das aus eigener Kraft dem zeitlichen Dasein nichts entgegenzuhalten hätte? Es wäre in den Augenblick gebannt. Und dieser Augenblick dehnte sich anhand der bloßen Sinneswahrnehmung noch weiter aus, würde zu einem einheitlichen, großen, grenzenlosen Umfeld. Das Bewusstsein hätte so ein Wissen um seine Gegenwart in einem allumfassenden Augenblick. Da er aber von keinem weiteren lebendigen Augenblick abgelöst, sondern alles eben immer schon zu einem unendlichen einen Augenblick gezählt würde, so würde der Mensch sich darin verlieren. Er würde, indem sich seine Kräfte in alle möglichen Regionen zerstreuten, jede Tätigkeit aus eigener Kraft aufgeben müssen. Fände sich ein Mensch, der bereit wäre, sein lebendiges Dasein gegen eine solche Form der Unsterblichkeit einzutauschen?