Die Liebe steht über allem.
Was sind die vornehmlichen Eigenschaften Gottes?
Als erstes ist die Liebe zu nennen. Die Liebe ist in unbedingter Weise auf das Wohl aller Wesen aus.
Das Wohl aller Wesen besteht aber nicht im sinnlichen Kitzel einer Wohlfühlkur, der nur vorübergehend existieren kann und immer wieder von neuem angeheizt werden muss. Es handelt sich vielmehr um die höchstmögliche Fülle eines kreativen Lebens und der dialogischen Vertiefung in der Mitte des allgegenwärtigen Seins als Zielpunkt allen Lebens Dies setzt zugleich als Ziel des Universums die Überwindung der Zeit in einer Zeitewigkeit voraus. Vorläufig erfüllt wird diese in der Veredelung des ganzen Leibes in einem Auferstehungsleib, die nur vom Liebesgeist bewirkt werden kann, der sich in der dialogischen Beziehung zu Gott und dadurch zu den Mitmenschen und allen Mitgeschöpfen entfaltet.
Zum Liebesgeist gehört die absolute Toleranz. Toleranz ist nicht unbedingt Akzeptanz. Ganz im Gegenteil: Die Toleranz ist fähig, auch das als gegeben anzunehmen und zu akzeptieren, was nicht gutgeheißen werden kann. Toleranz bedeutet, die freie Willensentscheidung anderer zu akzeptieren, nicht aber, ihr unbedingt zuzustimmen. Toleranz bedeutet, mittragen da, wo eine Umkehr nicht in Aussicht steht. Toleranz ist keine Akzeptanz, die eigene Überzeugungen relativiert. Die Ausübung von Toleranz setzt eine eigene Position, die auch allgemeingültige Werte umfasst, unbedingt voraus. Auf keine Weise ist der Mensch jedoch dazu berufen, den Willen eines Anderen zu brechen oder ihm durch diplomatische Überredungskünste seinen eigenen Willen oder seine eigenen Ansichten entweder direkt mit Gewalt oder schleichend und schrittweise aufzuzwingen. Wer einen Anderen von der eigenen Position überzeugen möchte, muss dies durch klare, an der Sache orientierte Argumente tun, aber nie durch Überredungskünste wie die Jesuiten. Wer aber einen Menschen einer abweichenden Meinung wegen persönlich angreift, diffamiert oder gar mit dem Tod bedroht, ist ein Übeltäter erster Ordnung, besonders dann, wenn er es im Namen Gottes tut.
Eine weitere Eigenschaft Gottes ist die des Zorns. Zorn darf nicht mit Hass verwechselt werden. Zorn ist eine Äußerung des Willens zur Gerechtigkeit in Anbetracht eines Unrechts. Zorn ist die Gefühlswallung der Liebe, die dann auftritt, wenn eine grobe Ungerechtigkeit geschieht, verbunden mit dem Willen, diese zu korrigieren. Hass dagegen ist mit Vernichtungswillen verbunden und gründet in Angst und mangelndem Gottvertrauen. Es ist ein grober Fehler, auch eines Therapeuten, die Gefühlsaufwallung des Zorns schlechthin als eine negative, rein menschliche oder verdammenswerte Emotion aufzufassen und sie Gott abzustreiten. Allerdings ist der Mensch nicht berechtigt, einem Anderen im Namen Gottes tatkräftige Vergeltung zuzufügen, sich also selbst zu rächen, es sei denn in unmittelbarer Notwehr. Solches wird im Islam vollständig verkannt. Wer sich im Namen Gottes eigenmächtig rächt, steht selbst unter dem Zorn Gottes, denn eine menschliche Vergeltung kann nie vollständig gerecht sein.
Der Zorn Gottes ist immer eine sachliche Angelegenheit und immer gegen Taten gerichtet, nie gegen den Menschen selbst. Der Zorn Gottes ist der Schutzwall der Liebe. Der Mensch wird geliebt. Selbst der schlimmste Verbrecher wird von Gott mit einer Liebe geliebt, die symbolisch, wie es manche Seher oder medial Begabte ausdrücken, der „Kraft von tausend Sonnen“ entspricht. Und gerade deshalb können die Korrekturmaßnahmen auch nach dem physischen Tod überaus schmerzhaft und von unvorstellbar langer Dauer sein. Bei diesen Korrekturmaßnahmen wird der Wille des Menschen aber nicht etwa gebrochen, sondern dem Menschen die Auswirkungen seines Willens in einem langen Leidensprozess vor Augen gestellt, bis sich dieser Wille an seinen vergeblichen Versuchen, der Wahrheit zu trotzen, abgearbeitet hat. Hier geht es auch keinesfalls um eine Selbsterlösung, sondern um die Wiederherstellung der Möglichkeit, unter der sich der Mensch erst erlösen lassen kann. Es geht um die grundsätzliche Wiederherstellung der Einsichtsfähigkeit, die erst die Voraussetzung zur freiwilligen Umkehr ist. Nicht Gott zwingt den Menschen zu dieser Einsicht, sondern die Auswirkungen des im menschlichen Willen verborgenen göttlichen Gesetzes führen ihm die Vergeblichkeit seines fehlgeleiteten Willens vor. Der Zorn Gottes dient also immer nur der göttlichen Liebe als deren Stützkraft, aber die Liebe steht weit über dem Zorn. Die ganze Bibel basiert auf diesen beiden Grundsätzen: Sein Zorn währt nicht ewig, aber seine Liebe endet nie!