Neganaír, die Stadt der Seeanemonen, Buntfarbstiftzeichnung, 1980
Neganaír, die Stadt der Seeanemonen, 1980, Buntfarbstiftzeichnung,

Über das Wesen des Bösen

Dem wahren Bösen fehlt nicht nur das Gute, es verkehrt das Gute auch ganz bewusst in ein angeblich Schlechtes. 

Das Böse lebt von der Auszehrung des Guten. Ohne das Gute zehrt es sich selbst auf.  

Es ist auf das Gute angewiesen, das Gute aber nicht auf das Böse. Es hat durchaus seine Richtigkeit, was Thomas von Aquin sagte, dass nämlich allem Bösen das Gute vollständig fehle. Nur reicht diese Feststellung eben nicht für eine Definition des Bösen nach seinem spezifischen Wesen aus.  Es ist klar: Auch dem geringsten Bösen fehlt das Gute völlig, ob es sich dabei um einen Ladendiebstahl oder um einen Mord handelt. Wäre das Wesen des Bösen damit aber erfasst, so wäre weder eine qualitative noch eine graduelle Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen des Bösen möglich. Dem Bösen geht eines voraus, welches ein bloßes Fehlen des Guten lediglich zu einer unabdingbaren Folge macht: Die bewusste Verachtung und Gegnerschaft des Guten, was die Erkenntnis eines Guten bereits voraussetzt. Verachtung und Verhöhnung aber äußern sich in einer Persiflage dessen, was man verachtet. Das Böse verhält sich zum Guten in einem Akt der bewussten Verkehrung des Guten in seine entgegengesetzte Aussage. Und der Grad der Bosheit richtet sich danach, wie hoch der Grad des Guten ist, das pervertiert wird. Die schlimmste Perversion des Guten in sein gewolltes Gegenteil ereignete sich bei der Kreuzigung Christi: Den Ersatz der Krone durch Dornen, der Reinheit des Körpers durch häutende Schläge, der Öffnung heilender Ströme durch Nagelwunden, des Thrones durch das Kreuzgerüst, des Gottmenschen durch einen vorgeblichen Verbrecher und die Wahl eines Mörders an seiner Stelle. Hier wurde die Wahrheit in Irrtum, ihr Gutes in angeblich Böses pervertiert. Das Böse lebt parasitär vom Guten. Der nächste stufenweise vorbereitete Schritt wird darin bestehen, dass die äußerste Perversion der Menschlichkeit in einer anderen, bestimmten Person in den Augen des immer gleichen Zeitgeistes weltweit zum menschgewordenen Gott verklärt werden wird.