Im Armenviertel, 1976, Kugelschreiberzeichnung auf Zeichenblock
Im Armenviertel, 1976, Kugelschreiberzeichnung auf Zeichenblock

Über den Vergleich dissonanter Akkorde mit der Natur des Bösen

Eine echte dramatische Dichtung oder Symphonie lebt nicht von Dissonanzen, sondern von der Kraft ihrer Überwindung.

Der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz war der Meinung, dass diese Welt trotz ihres leidvollen und ungerechten Zustandes die beste aller möglichen Welten sei.

Mit „Welt“ bezeichnete er dabei die Schöpfung in ihrer Gesamtheit, also das ganze sichtbare Universum einschließlich der unsichtbaren himmlischen Welten. Er begründete seine Auffassung damit, dass es auf unserer Erde zwar vieles Böse gäbe, Gott jedoch aufgrund seines Gesetzes der prästabilierten Harmonie dieses Böse sofort zum denkbar größten Nutzen im Dienst der Gesamtheit verwende. Das bestehende Böse schrieb Leibniz dabei dem freien Willen der Menschen zu. Die Täter würden zwar bestraft, im schlimmsten Falle mit der ewigen Verdammnis, aber auch dies käme dem Großen und Ganzen zu Gute. Leibniz ging nicht davon aus, dass böse Taten von der göttlichen Vorsehung verordnet würden. Er behauptete nur, dass auch unter der Voraussetzung der aus freiem Willen von Menschen begangenen Taten durch göttliche Fügung am Ende alles für die Gesamtheit zum besten Resultat geführt werde – allein durch das Gesetz der prästabilierten Harmonie. Folglich führte uns Leibniz nicht ein Universum vor, wie es in seiner Vollendung als „beste der möglichen Welten“ erscheinen würde, sondern immer nur auf der jeweiligen Stufe seiner Entwicklung unter Beachtung des freien menschlichen Willens, der von Gott sofort auf die beste und segensreichste Weise genutzt werde. Einen metaphysischen Determinismus vertrat Leibniz nicht. Er verkündete aber den Gott rationalistisch „aufgeklärter“ Philosophen, nicht den lebendigen, mit und in seiner Schöpfung ringenden Gott der Bibel, wenn er auch auf den Letzteren Bezug zu nehmen hoffte. Für ihn war die Schöpfung eine einzige große harmonische Symphonie mit einigen Dissonanzen, die in der Gesamtheit zur Harmonie beitrügen – wie auch jede gute dramatische Symphonie Dissonanzen enthalten müsse.

Schauen wir uns einmal an, ob das so stimmen kann, indem wir eine dramatische Symphonie betrachten. Wir werden finden, dass in einer wirklich großen Symphonie voll mitreißender Dramatik die sogenannt dissonanten Akkorde nur dadurch zur Dramatik beitragen, dass sie von harmonischen eingeholt, überwunden und schließlich aufgehoben werden – etwa so wie eine Zornaufwallung durch Liebe nicht nur besänftigt, sondern in beherrschter Kraftentfaltung überwunden wird. Der dissonante Akkord kann nicht als solcher isoliert betrachtet werden und dennoch in der Gesamtheit der dramatischen Symphonie bestehen bleiben. Dasselbe gilt für einen bösen oder dämonischen Menschen im Schöpfungsgefüge. Da er als unverzichtbarer Teil der ganzen Schöpfung auch die Gesamtheit der Schöpfung in sich trägt, nur in einer unverzichtbar individuellen Form, muss das Böse auch in ihm einmal überwunden werden. Er kann nicht immerwährend im Bösen bleibe, wenn die Symphonie vollendet werden soll.