Nur der, dessen Kampf gerecht ist, wird den Lebenskampf am Ende gewinnen.
Man betrachte die Weltanschauungen zweier Männer, die sie in einem einzigen prägnanten Satz auszudrücken verstehen. Der Erste konstatiert: „Das Leben ist ein Kampf, und wer das nicht versteht, verdient es nicht zu leben.“
Der Zweite behauptet: „Das Leben ist ein Kampf, der nicht zu gewinnen ist.“
Der geneigte Leser lehne sich einen Augenblick zurück und überlege, wer von den beiden der Wahrheit näher ist und welche Gesichtspunkte beide nicht bedacht haben.
Die Lösung: Der Irrtum beider besteht darin, nicht überprüft zu haben, wofür und wie man kämpfen sollte. Denn offenbar gehen beide davon aus, dass dieser Lebenskampf ein Kampf für das eigene Ego und gegen die übrige Welt sein sollte.
Nur so kommt der Erste zu dem Schluss, dass jemand, der sich solchem Kampf verweigert, es nicht verdiene zu leben, weil er dem Ansturm der
Durchsetzungsfähigen unterliegen muss. Es bedarf keiner besonderen Einsicht, um zu erkennen, dass es sich bei der Weltanschauung des Ersten um eine antimoralische und daher unmenschliche Einstellung handelt. Umso schlimmer, wenn er sie bejaht und sich in allen Zielsetzungen seines Lebensentwurfes für sie einsetzt.
Der Zweite Mann glaubt ebenfalls an die Richtigkeit des Satzes, dass das Leben ein unbarmherziger Kampf, der Kampf eines jeden gegen jeden, ein Kampf um das nackte Überleben sei. Aber im Gegensatz zum Ersten bejaht er diese Einstellung nicht. Er hat etwas erkannt, was der Erste vergessen hat: Dass nämlich das Leben mit dem Tod endet. Und gemäß dem materialistischen – oder sollte man nicht vielmehr sagen, martialischen – Grundgedanken beider wird dadurch jede individuelle Anstrengung im Keim vernichtet.
Das erwirtschaftete Vermögen des egomanischen Kämpfers wird bald von seinen in der Regel nicht minder egomanischen Angehörigen verprasst und sein Name innerhalb weniger Jahre vergessen sein.
Nun haben es einige Menschen darauf angelegt, besondere Anerkennung, Ruhm oder gar Weltruhm zu erlangen. Sie haben dabei aber nicht bedacht, dass auch ein solcher Ruhm vergänglich ist. Das gilt auch für den Ruhm derjenigen, deren Name bisher tausend, dreitausend oder maximal sechstausend Jahre überdauert hat. Wer aber deren Lebensgeschichte betrachtet, sofern sie überliefert ist, wird bestürzt darüber sein, wieviel sie persönlich geopfert haben, um diesen Ruhm – ohne ihn unter Umständen vorher erstrebt zu haben – zu erlangen. Und einige unter ihnen, die als Egomanen in die Geschichte eingegangen sind, sind es dadurch, dass sie viel Unheil bewirkt haben, Unheil, das in ihren Anhängern fortdauert. Ihr Ruhm ist einem Fluch der Schande zu vergleichen, den sie dort, wo sie nach ihrem Tod weiterexistieren, am liebsten los sein würden.
Ist das Leben überhaupt ein Kampf? Nicht in dem Sinne, den die beiden Männer intendieren. Es ist eine Bewährung, eine Be-Währung zur Wahrheit. Der Sinn des irdischen Lebens besteht darin, gegen das selbstsüchtige Ego anzukämpfen, nicht gegen das Ego anderer. Dieser erhöhte Sinn des Daseins kann erfüllt werden, durch die Beobachtung des eigenen Verhaltens, die Verfeinerung des Mitgefühls und die schrittweise Fügung in den Willen Gottes, damit die persönliche Heiligung (Entwicklung und Reifung des höheren Selbst) vollzogen werden und so der geläuterte Einzelne am Heil aller Menschen und Kreaturen mitwirken kann.