Mädchen auf Seetier (3), 2023, Ölpastell 
Mädchen auf Seetier (3), 2023, Ölpastell

Über den Wissenschaftsbetrieb

Der Glaube an die Unerkennbarkeit der Wahrheit wird von unlauteren Absichten inspiriert und erfährt durch den Hinweis auf bestehende Irrtümer eine scheinbare Rechtfertigung.

Der Wissenschaftsbetrieb unserer Tage bietet sich folgendermaßen dar:

Die moderne Physik ist mit ihren Beobachtungen an die Grenzen des theoretisch Interpretierbaren gekommen, denn das diesen Beobachtungen zugrundeliegende Theorienkonstrukt gründet nach wie vor auf dem korpuskulären Materialismus, während die Quantenmechanik anderes nahelegt.
Dasselbe gilt von der Chemie und einer mechanistisch aufgefassten Medizin. Einer vor allem ökonomisch und traditionell verstandenen Geschichtswissenschaft fehlt der spirituelle Horizont und somit das Verständnis des geistigen Zusammenhangs. Und die Grenzgebiete der Psychiatrie, Psychologie und Soziologie haben sich beinahe ausschließlich auf experimentelle und empirische Untersuchungen zurückgezogen, denen dann meist unhinterfragt mehr oder weniger ideologische und traditionelle Erklärungsmuster (Musterbeispiel Darwinismus) unterschoben werden. Auf das Streben nach Erkenntnis eines übergeordneten Zusammenhangs wird dabei fast gänzlich verzichtet. Interessanterweise kann jeder geübte Menschenkenner die Ergebnisse zumindest der meisten alltagspsychologischen Untersuchungen, die mit großem Aufwand betrieben werden, vorhersagen.
Unmengen von Aufsätzen und Untersuchungen werden produziert, die für die geistig-kulturelle Ebene und die psychische und leibliche Gesundheit der Menschen kaum tiefere Auswirkungen haben. Ganze Wälder werden dafür abgeholzt, mehr als jemals zuvor, trotz elektronischer Daten-Übertragungsmöglichkeiten. An den Universitäten herrscht ein unermüdlicher Konkurrenzkampf, der unter dem Vorzeichen des Egos steht. Sinnigerweise gilt hier die Devise: „Publish or perish!“
Die Frage ist natürlich, wer all die vielen publizierten Artikel lesen soll. Natürlich werden es Studenten sein, die, sofern sie an der Universität bleiben, ihrerseits mit weiteren Artikeln in Konkurrenz treten, freilich meist unter dem Deckmantel der Freundlichkeit und Loyalität. Die Wutausbrüche einzelner maligner Narzissten unter den Dozenten und Professoren offenbaren dabei aber oft nur zu deutlich den dahinterstehenden Geist. Es gibt auch ernsthafte Forscher unter den berufsmäßigen Wissenschaftlern, die aufrichtige Wahrheitssucher sind. Diesen geht es um die Wahrheit selbst und nicht um Titel und Ruhm. Aber sie sind in der Minderheit und werden sich auf Dauer nicht der Vereinnahmung durch einen Weltgeist entziehen können, der eine überindividuelle Wahrheit leugnet, um sie dem Nutzwert elitärer Eigeninteressen opfern zu können.
Vieles zu dieser Lage hat die Philosophie Immanuel Kants beigetragen, wonach das Ding an sich unerkennbar sei. Diese These hatte bei diesem Philosophen einen spirituellen Grund: Das Reich der Erscheinungen, wie es sich ihm darbot, war nicht in der Lage, Kants spirituelle Bedürfnisse zu befriedigen. Seine Nachfolger griffen jedoch die These mit anderen Absichten auf. Sie wollten sich eine Welt nach eigenem Gusto, zur Befriedigung ihrer eigenen Ego-Bedürfnisse zimmern, eine Welt, „wie sie ihnen gefällt“, und das Spirituelle „außen vor“ lassen.
Aber das „Ding an sich“ hat es nun einmal so an sich, dass es sich in Erscheinungen ausdrückt, nicht nur im äußeren Raum, sondern auch in inneren Zuständen. Man kann ihm nicht willkürliche Erscheinungen nach eigenem Gusto unterschieben, etwa in einer „Als-ob“-Theorie im Sinne Vaihingers. Das Ding an sich verhält sich solchen Theorien gegenüber nämlich durchaus sperrig. Denn es ist keineswegs unerkennbar. Eine im Ansatz entwickelte phänomenologische Methode könnte hier gute Dienste leisten.
Warum aber scheint das „Ding an sich“ in seinem Wesen noch immer unerkennbar zu sein? Ist es die mangelnde Auffassungsgabe der Menschen, welche naturgegeben sei? Keineswegs! Es ist die allgemeine Bosheit, die ihre Erkenntnis blockiert. Die Erkenntnis des Dings an sich hat moralische Qualität. Diese Einsicht hatte schon Immanuel Kant, etwa in seiner „Kritik der praktischen Vernunft“, der „Kritik der Urteilskraft“ oder in seiner „Metaphysik der Sitten“. Sie wurde aber ganz bewusst nicht weiter konsequent verfolgt, weder von ihm noch von seinen Nachfolgern.
Es ist so bequem, sich auf mangelnde Erkenntniskraft zugunsten von Eigeninteressen berufen zu können! Es ist ein bequemer Weg, der aber seinen Bekenner in Blindheit und geistiges Verderben führen wird.