Der Mensch in der Masse, 1997, Buntfarbstiftzeichnung
Der Mensch in der Masse, 1997, Buntfarbstiftzeichnung

Über die Neigung des menschlichen Geistes, sich menschlichen Gruppenstandards unterzuordnen

Wen es nicht aus existenziellem Bedürfnis nach Wahrheit, verlangt, wer nicht dem Geist vertraut, aus Liebe zu Gott sich Schritt für Schritt dorthin geleiten zu lassen und unermüdlich zu forschen, der wird die Neigung in sich verspüren, sich Meinungsgruppierungen anzuschließen.

Der Mensch will gehört sein und Hörer finden, die ihn verstehen. Und er hält es nicht aus, in einem Zustand der Ungeborgenheit, ignoriert und verlassen von anderen Menschen bleiben zu müssen.

So kommt es wohl, dass, wenn er einige Körnchen der Wahrheit gefunden zu haben glaubt, die ihn befriedigt, versucht ist, eine Elite um sich zu scharen, die seine zum System ausgebaute Meinung Buchstabe für Buchstabe vertritt. Auch sogenannte Christen, die doch ihre innere Befreiung durch den Geist Gottes und die Liebe zu ihm am meisten wertschätzen müssten, sind hiervon nicht ausgenommen. Gerade sie neigen oft zu einem erschreckenden Dogmatismus. So findet man Christen, die, gerade dann, wenn sie einer Verführung durch den Esoterikboom und einem damit verbundenen „Lichtarbeit“-Eifer entronnen sind, ein Welt- und Gottesbild entwickeln, dass auf einige wenige karge Glaubensannahmen zurechtgeschrumpft ist, die sie voreilig mit Aussagen der Bibel verwechseln. Sie glauben zum Beispiel aus der Voraussetzung, dass Gott in Jesus auf unserer Erde Mensch geworden und die Menschheit auf unserer Erde erlöst hat, schließen zu dürfen, dass diese Erde der einzige bewohnte Planet sei. Gott habe uns also mit einem vollkommen toten und lebensleeren Universum außer der Erde beehrt. Was für eine maßlose Verschwendung! Nur um das Leben auf unserer kleinen Erde aufrechtzuerhalten? Mitunter verraten solche Ansichten heute, da man eine gelinde Ahnung von der Ausdehnung des Schöpfungsraumes erhalten hat, auch einiges über das Gottesbild solcher Leute. Es ist das Bild eines Gottes, der die Menschen durch die kalte Übermacht eines von Tod erfüllten Universums zu blenden, zu erdrücken und zu ängstigen sucht. Natürliche mediale Anlagen werden denn auch, nach Ansicht dieser Christen, nicht nur vom Satan mitunter missbraucht, sondern von diesem primär als Gabe gegeben, dergestalt, dass auch Kinder, die etwa Elementarwesen sehen können, immer vom Satan irregeführt werden und Bekanntschaft mit bösen Dämonen machen. Diese Leute können nicht differenzieren und abwägen oder wollen es vielmehr nicht. Interessanterweise kommen sie fast immer aus den esoterischen „Lichtarbeiter“-Gruppen oder haben sich zumindest im Vorfeld mit einer bestimmten esoterischen Richtung befasst, gegen die sie sich nun, nach ihrer Erkenntnis christlicher Grundprinzipien, in einer Radikalkur abgrenzen wollen. Sie gesellen sich ganz bestimmten evangelikalen Gruppierungen oder Sekten zu, die in allen ihren erstarrten Dogmen auf einer Linie mit ihnen liegen. Die Erkenntnis, dass die Gabe der Geisterunterscheidung nicht gleichbedeutend ist mit der prinzipiellen Ablehnung von allem, was nicht in der Bibel steht, fehlt ihnen. Sie prüfen, vergleichen und forschen nicht. Die meisten aufrichtigen und christlichen Grundsätzen treugebliebenen Katholiken sind, verglichen mit ihnen, in ihren Auffassungen wesentlich vielseitiger, differenzierter und klarsichtiger.
So finden die meisten Menschen ihre passende Glaubens- oder Meinungsgruppierung, in der sie sich wohlfühlen, und passen sich in ihren Anschauungen dem vorgegebenen Dogmengebäude an, so dass ihr Geist ein sanftes Ruhekissen beruhigter Angst in ihm findet. Es ist die Angst vor der erdrückenden Masse weltlicher Angebote und Ansichten, die sie lähmt und nach Geborgenheit Ausschau halten lässt. Für ihre weitere geistige Entwicklung könnte dies aber ein Hindernis sein. Sie vertrauen der menschlichen Meinung mehr als Gottes Führung zur Wahrheit und sind der Worte des Paulus nicht eingedenk, dass der Geist alle Dinge erforscht, sogar die Tiefen der Gottheit.